Holzschnitt 1510
    
Nikolaus von Flüe
Bruder Klaus  
  
 
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   Das Sachsler Meditationsbild
Speculum Humanæ Salvationis – Ein Spiegel des christlichen Lebens
  
   1. Teil      2. Teil      3. Teil      4. Teil      5. Teil      6. Teil
  
6. Teil: Evangelistensymbole – Entstehung des Tuches
  
Es wurde bereits im 1. Teil darauf hingewiesen, dass es bei den Evangelistensymbolen auf dem Sachsler Meditationstuch einen gewissen Zusammenhang zu geben scheint im Vergleich zu denen in der Leonhardskirche in Basel. Letztere sind zwischen 1455–1460 entstanden – beim 5-jochigen Lettner links aussen. Da im Zentrum das Wappen der Familie Iselin (drei weisse Rosen) abgebildet ist, ist auch die Rede vom Iselinjoch. – Dass beide Zyklen von der gleichen Hand stammen, lässt sich sicher nicht behaupten. Andererseits ist zu berücksichtigen, dass:
1. … der Pinsel auf einer Leinwand eine andere Struktur hinterlässt als auf dem
     Kalkputz al fresco und auch den Stil beeinflusst
2. … die Proportionen anders sind, das Tuch ist verhältnismässig eine Miniaturarbeit
3. … die Symbole in St. Leonhard 4 bis 10 Jahre älter sind
  
Beide Zyklen könnten von der gleichen «Schule» stammen. Im Vergleich wirken die Symbole auf dem Tuch bedeutend naiver. Im Iselinjoch halten die Tiere das Spruchband, und bei allen vier Figuren befindet sich der Kopf in einem Heiligenschein; beides ist im Tuch nicht der Fall.
  
Rundbild Johannes   Iselinjoch Johannesadler
  
Der Typus des stehenden Adlers und die Art der gespreizten Flügel deuten auf das Wappen von Habsburg-Österreich hin. Die Flügel wirken aber hier etwas zerzaust wie bei einem «Pleitegeier».
  
  
Die Flügel des Adlers sind hier naturnaher; Augen und Schnabel sind besser erkennbar.
Rundbild Matthäus Iselinjoch Matthäus
  
Die Flügel sind etwas verunstaltet und gleichen eher denen von Fledermäusen, was typologisch sonst eher den bösen Dämonen zugeordnet wird.
  
 
Der Engel trägt hier die üblichen Flügel mit Adlergefieder. Der Faltenwurf des Gewandes ist fast gleich wie bei der Figur nebenan und bei den anderen menschlichen Figuren im Tuch.
  
Rundbild Markus Iselinjoch Markuslöwe
 
Der Löwe ist hier ebenso wie der Adler anatomisch derart überzeichnet, dass er mit einem bestehenden Symbol korreliert. Einen schwarzen Löwen finden wir im Wappen Karls des Kühnen; in seinem Siegel wird das Wappen von zwei aufrecht stehenden Löwen flankiert. Das Zurückwerfen des Kopfes und die lange dünne Zunge erinnern etwas an eine Schlange. Will der Maler hier versteckt einen Spott andeuten? Der typische Basler Witz? Die Flügel sind verkümmert und passen eher zum mythischen Drachen. – Früher trugen aber auch die Habsburger einen Löwen (einen roten) im Wappen, sogar mit einer derart langen Zunge. 1477 fusionieren die beiden Familien (Heirat des einzigen Burgundernachkommens Maria mit Maximilian I.) – zu dieser Zeit war aber das alte Habsburgerwappen nicht mehr im Gebrauch.
  
 
Der Löwe ist hier ebenfalls anatomisch überzeichnet, um das majestätische Moment zu verstärken. Dieser Zyklus ist mindestens vier Jahre älter als derjenige im Tuch (spätestens 1460). Karl der Kühne trat die Regentschaft über das Burgunder Reich 1465 an, zwei Jahre, nach dem Tod des Vaters, wurde er Herzog. – Das Protektorat über Stadt und Bistum Basel sowie das Elsass (Sundgau) wechselte erst 1469 vom Habsburger Sigmund zu Karl dem Kühnen von Burgund.
  
Rundbild Lukas Iselinjoch Stier
 
Der Stier ist hier in recht naiver Weise verniedlicht dargestellt, als ob der Maler ein derartiges Tier noch nie in natura gesehen hätte, und sieht aus wie ein Hund mit Ziegenhörnern, irgendwie eine Chimäre. Vielleicht eine verniedlichende Anspielung auf den Schweizer Ur?
  
 
Im Iselinjoch ist der Stier kraftvoll und majestätisch dargestellt, das hintere Teil ist jedoch etwas misslungen. Das Gefieder ist wie beim Engel und beim Löwen zweifarbig, hellgrün und rosa. Die Hörner stimmen.
Der Künstler lässt sich beim Malen der Evangelistensymbole im Sachsler Meditationstuch aus über die politische Situation in seiner Umwelt, er kann seinen satyrischen Spott gegen Habsburg-Österreich und gegen Burgund nicht mehr zurückhalten und zeichnet quasi eine Schnitzelbank in das devote Bild hinein. Offensichtlich kommen die Eidgenossen dabei auch nicht allzu gut weg, zeitweise hatten sie stellvertretend für den Erzherzog Sigmund von Österreich Schutzmachtfunktionen in Basel und im Elsass wahrzunehmen, so besonders während des Konzils von 1431. Schliesslich verpfändete der hochverschuldete Habsburger die ganze Region 1469 an Burgund – der Adler wird zum Pleitegeier. Das konnten und wollten die braven Eidgenossen vorerst auch nicht verhindern – der zahme Uri-Stier. Der Burgunder Herzog ist aber mehr als ein Löwe eine gefährliche Giftschlange. Diese Evangeliensymbole können also durchaus etwas Aufschluss über Zeit und Ort und Entstehung geben. Die Zeit rückt hier nahe an 1469 heran.
  
Es blieben noch das Stifterwappen im Medaillon der Messe und das Künstlermonogramm im Rundbild der Verkündigung zu erklären.
Das Stifterwappen beinhaltet eine Burg oder ein Turm mit Vorwerk, wie sie bei Stadttoren vorzufinden waren, versehen mit einer Zinne für Bogenschützen und Pechnasen. Basel, zum Beispiel, hatte sieben Stadttore. Eine ältere Version des St. Alban-Tores, das einen Brückenübergang über den Wassergraben ausserhalb der Stadtmauer zu schützen hatte, könnte vielleicht im Wappen dargestellt sein. Aber in Europa glich damals wohl ein Stadttor dem anderen.
Das oft als Künstlermonogramm bezeichnete Zeichen im Medaillon der Verkündigung ähnelt einem Steinmetzzeichen der gotischen Bauhütten oder einem Meisterzeichen auf Waffen, Tonwaren etc., ist aber eher ein Familienwappen: Kreuz mit gespreiztem Schaft und einer Mondsichel. Beide Embleme konnten bisher nicht identifiziert werden. Da das Bild aber ein Stifterwappen als solches bereits erkennbar enthält, dürfte das andere Zeichen eher eine andere Funktion der Darstellung haben und nicht noch ein weiteres Stifterwappen sein. Zudem ist es keineswegs sicher, dass es sich in der Verkündigungsszene um einen Lesepult handelt, es dürfte eher ein Altar in gotischer Manier aus Stein sein oder eine Tumba, ein Grabmal, das üblicherweise mit dem Wappenzeichen der Familie geschmückt wurde oder eben doch auch mit dem Zeichen des Steinmetzen, das in unserm Rundbild überproportional hingemalt worden wäre, nur damit es überhaupt erkennbar ist. – Der Ansicht von Heinrich Stirnimann (Gottesgelehrte, 184) nach könnte das Emblem eine Variante des Familienwappens der Irmis in Basel sein. Hans Irmi der Jüngere, Kaufmann und Jurist, war für sein burgunderfreundliches Verhalten bekannt; im April 1474 trat er beim Prozess in Breisach gegen den Landvogt Peter von Hagenbach als dessen offizieller Verteidiger auf, allerdings vergebens: Der Vogt im Dienste Burgunds wurde am 9. Mai hingerichtet – während sich ein Burgunderheer der Stadt näherte. Hans Irmi der Jüngere änderte sein Wappen 1474, nachdem er vom Burgunder Herzog in den Adelstand erhoben wurde (neu: schwarzer Löwenkopf mit roter Zunge und goldener Krone). Dann wäre das Meditationstuch also vor 1474, bzw. vor 1475 entstanden. Und das Familienwappen befände sich auf einem Sarkophag. – Eine Tochter des Hans’ Irmi war Dominikanerin im Kloster Klingental (heute Kleinbasel). Die Schwestern wurden von den Predigerbrüdern vertrieben (Quelle 025). Nach ihrer Rückkehr wechselten sie 1483 den Orden, sie wurden Augustiner Chorfrauen (Schwarze Beginen) mit der Spiritualität der Devotio Moderna, welcher sie aber schon lange vor der Vertreibung zugeneigt waren und welche ihrerseits für die Entstehung des Tuches Richtung weisend war.
  
Mögliches Wappen des Hans Irmi des Jüngeren vor 1475
  
St. Leonhard in Basel
  
Die Kirche St. Leonhard in Basel gehörte seit 1135 zum gleichnamigen Stift der Augustiner Chorherren. Zugleich war sie Leutkirche (Pfarrkirche). Das Stift der Chorherren befand sich in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts im geistigen Umbruch. Er begann unter Probst Stephan de Vasis (Amtszeit: 1454–60). Auf Veranlassung des Basler Bischofs Johann von Venningen wurde 1462 auf dem Generalkapitel der Windesheimer Kongregation in Utrecht die Reform von St. Leonhard eingeleitet. Es blühten Frömmigkeit und Gelehrsamkeit, was sich auch auf das Pfarreileben abfärbte. Es entstanden Bruderschaften (spirituell nahe verwandt mit der niederrheinischen Devotio Moderna), welche als wichtige Werke der Frömmigkeit das barmherzige Tun im Stadtleben aktiv pflegten. Im Tuch sind diese symbolisch angedeutet. In diesem Zusammenhang ist die Entstehung des Meditationstuches im Umfeld von St. Leonhard durchaus vorstellbar. – Wie in Teil 2 gesagt, gehört der Messe lesende Priester im Meditationstuch weder dem Orden der Prediger (Dominikaner) noch dem der Karthäuser an – beide waren zwar in Basel vertreten – sondern mit seinem dunklen Habit (Saum unten und Manschetten sind sichtbar) zu den Augustiner Chorherren, Augustiner Eremiten (nahe beim Münster) oder den Barfüssern (Franziskanerkonventualen) oder den Benediktinern im Kloster St. Alban.
  
In der Kirche St. Leonhard befand sich – im Hauptchor als Hochaltar – ein «Heilspiegelaltar» (Speculum Humanæ Salvationis, Spiegel des menschlichen Heils), der um 1435 von Konrad Witz gemalt wurde. Von hier aus bekam das Meditationstuch wohl den Sinn, es sollte ebenfalls ein Heilspiegel sein, erweitert um die Symbole für die Werke der Barmherzigkeit. Und nicht übersehen werden darf, dass in der Krypta von St. Leonhard damals Wandmalereien (gegen Ende 12. Jahrhundert) der Passion Jesu vorhanden waren. Bezüglich Ähnlichkeiten im Meditationsbild mit Bildern von Konrad Witz ist besonders das Medaillon mit der Verkündigung durch den Erzengel Gabriel auffällig. Das Gemälde der Verkündigung von Konrad Witz1 befand sich einst aussen bei einem Flügelaltar, der Maria in der Heilsgeschichte zum Hauptthema hatte; der ursprüngliche Standort dieses Altars ist allerdings unbekannt, höchstwahrscheinlich befand er sich aber im südlichen Seitenchor, in der Marienkapelle von St. Leonhard. Im Medaillon des Sachsler Meditationstuches ist das kastenartige Gebilde jedoch kein «Lesepult», wie oft behauptet wird, sondern eine Familientumba mit Wappen oder ein Altar mit überproportional dargestellem Künstlermonogramm, bzw. Stiftermonogramm für den Altar. Der Nachweis ist kaum mehr möglich, da alle Altäre der Basler Kirchen in der Reformation zerstört wurden. – Seltsam ist im Tuch die Übermalung der mächtigen Flügel des Engels, wodurch diese fast völlig entfernt wurden.
  
Ein Einfluss aus spezifischen Kreisen der Mystik ist im Sachsler Meditationstuch in keiner Weise zu finden, es sei denn in christlichen Gedanken, die längst zeitgemässes Allgemeinwissen waren, etwa Visionen und Frömmigkeit der Birgitta von Schweden. Dafür, dass die Dominikaner (Prediger) etwas mit dessen Entstehung zu tun haben, gibt es nicht die geringste Spur, im Gegenteil, mit ihren strengen Ansichten waren sie entschiedene Gegner der Devotio Moderna, welche die Werke der Barmherzigkeit als wichtigen Teil ihrer Spritualität enthielt (vgl. auch den Konflikt um das Frauenkloster Klingental, Quelle 025). Die Frömmigkeit der Bruderschaft von St. Leonhard ist nicht nur nach innen gerichtet sondern auch nach aussen als ethische Verantwortung im konkreten Leben. Nicht auszuschliessen ist dabei ein sozialpolitisches Engagement. Das Stift und deren Anwohner waren mit der Seelsorge und der materiellen Versorgung von Randgruppen beschäftigt, die in der Umgebung recht zahlreich waren. Die Symbole der Werke der Barmherzigkeit auf dem Meditationstuch passen genau dazu. St. Leonhard war zudem der Patron der Gefangenen. Das Sachsler Meditationstuch ist höchstwahrscheinlich im Umfeld von St. Leonhard in Basel zwischen 1465 und 1475 entstanden, am wahrscheinlichsten um 1469. Wenn Robert Durrer den Zeitraum der Entstehung auf 1450–1470 eingrenzt, «am besten bald nach 1450», sowie sein kunsthorischer Berater, Professor Josef Zemp, das Bild auf Grund stilistischer Vergleiche um 1460 datieren will (Amschwand, Ergänzungsband, 231), liegen diese Schätzungen keineswegs daneben. Stilistisch gesehen dürfte es allein schon deswegen durchaus möglich sein, wenn man annehmen würde, dass hier Schüler eines grossen Meisters, nämlich Schüler von Konrad Witz (1445 gestorben), am Werk waren, welche dessen Stil auch noch kurze Zeit später nachahmten, aber das Niveaus ihres Meisters nicht erreichten. Stilistische Kriterien lassen jedenfalls nur Schätzungen und keine genauen Angaben zu.
  
Eine verborgene Jahreszahl? – Es wurde auch schon die Vermutung geäussert, im Meditationsbild sei womöglich versteckt das Jahr der Entstehung angegeben. Heinrich Stirnimann befasste sich mit der Hypothese (Gottesgelehrte, 174f.), dass in den Spruchbändern der Evangelienembleme von Lukas und Markus diese Zahl zu finden sei. Er erkannte jedoch, dass das Ergebnis von Vergleichen zu vage ist, weswegen er dem vermeintlichen Phänomen nicht mehr weiter nachging. Die angeblichen Zahlen sind lediglich ornamentales Gekritzel. – Anders sieht es Rupert Amschwand (Ergänzungsband, 232f.): Im Markus-Band ist das Schluss-s etwas weit von den übrigen Buchstaben entfernt (das grosse S für «Sanctus», bzw. «S.» ist es übrigens auf der anderen Seite auch). Dieses s sei beschädigt und nicht offen, wie es ein s sein müsste, es sei darum eine 8. Die Geschichte der Typographie gehört eigentlich auch zu den historischen Hilfswissenschaften. Amschwand irrt sich hier zweifellos, denn ein gotisches Schluss-s hat eben auch keine Öffnungen (weder handgeschrieben noch als Bleiletter – die heutigen digitalen Zeichensätze sind originalgetreue Nachbildungen). Also nichts mit 1483 als verborgener Jahreszahl! Was angeblich die Zahl 14 sein könnte, entpuppt sich als blosses Ornament, ähnlich den Ranken-Ornamenten im Hintergrund, ebenso verhält es sich am Ende des Bandes von «S. Marcus». Am Ende des Bandes von «S. Lucas» befindet sich ein Zeichen, das einer umgedrehten 3 ähnlich sieht, was keineswegs zwingend anzunehmen ist. Es könnte auch die gängige Abkürzung von «et» sein, aber es ist eben doch eher nur ein Ornament. – Übrigens: Wenn wir genau hinschauen, sehen wir, dass die vier Spruchbänder von je einer anderen Hand beschriftet wurden. Vier verschiedene Handschriften, das bedeutet: Es waren mindestens vier Maler am Werk.
  
Abbildung rechts: Das beschädigte Schluss-s in «S. Lucas» und im Vergleich dazu der Buchstabe in der Druckschrift «Schwabacher» (hier: Bleiletter, Handsatz, Giesserei Haas in Münchenstein), welche 1454 der Mitarbeiter Gutenbergs, Peter Schoeffer, in Anlehnung an die gotischen Minuskel entwickelte. Die Druckschriften «Fraktur» und «Antiqua» sind stets dem Schreiben mit einer Feder nachempfunden, dessen Charakteristik mit einem Pinsel nicht adäquat wiedergegeben werden kann.
  
Zusammenfassung zum Meditationstuch:
  
· Entstehungsort ist sehr wahrscheinlich Basel, St. Leonhard
· Entstehungszeit: 1465–1475, wahrscheinlich sogar um 1469
· Verwendungszweck: mobiles Altar- bzw. Andachtsbild, sozusagen ein Heilspiegelaltar
· Das gekrönte Haupt im Zentrum war ursprünglich bartlos
· Spätestens 1480 wurde das Meditationstuch erstmals übermalt
· Im Zentrum ist weder Gott, noch Christus noch Gottvater dargestellt
· Von der Entstehungsgeschichte her ist das Tuch weder ein Visionsbild noch ein Radbild
· Das Tuch war ursprünglich nicht für Bruder Klaus bestimmt
· Es kam entweder 1479 oder 1480 als Geschenk in den Ranft2
· Zielperson für die ursprüngliche Verwendung: Karl der Kühne, Herzog von Burgund
· Es ist nicht auszuschliessen, dass es sich im Nachlass3 des 1479 verstorbenen
  Adrian von Bubenberg befand, dem das Tuch vermutlich nach der Schlacht bei Murten
  (1476) übergeben worden war. Nach dessen Tod wäre es dann Bruder Klaus
  geschenkt worden, nachdem die Erben (Adrian II. etc.) das Gesicht in der Mitte
  übermalen liessen.
· Zwei Arten von Lichtstrahlen4 zeigen an: den Glauben aufnehmen und gute Werke tun.
  Bewegung von aussen nach innen und von innen nach aussen entsprechend der
  Devotio Moderna. Das Tuch ist ein gelungenes Mind-Mapping der Devotio Moderna.
· Das Meditationsbild war keine Betrachtungstafel, als Tafel gefasst wurde es erst 1611
· Das gemalte Tuch diente dem Analphabeten Klaus quasi als «Buch», als Handbuch
  
Geometrische Konstruktion des gemalten Meditationsbildes
  

   
Welche Struktur war nun am Anfang gegeben? Sie ist eigentlich einfach zu erstellen, wenn die nötigen geometrischen Kenntnisse vorhanden sind. – Die aufgespannte Leinwand ist nahezu quadratisch. Darauf wird nun ein exaktes Quadrat eingezeichnet. Als Grundstruktur für das Meditationsbild dient nun ein Gitter mit 36 gleichen Quadraten. Das Ziel ist die sechs­strahlige Symmetrie mit Kreisen, welche das Quadrat optimal ausfüllen. Um das Gitter erstellen zu können, muss zunächst die halbe Höhe des Quadrats (Parallelen durch das Zentrum) in drei gleiche Abschnitte geteilt werden. Dreiteilung einer Strecke: Mit dem Lineal zeichnen wir eine abgewinkelten Gerade (rot) ausgehend vom Anfang der zu teilenden Strecke. Auf diesem wird mit dem Zirkel dreimal der gleiche Teil angebracht. Der letzte Punkt wird mit dem Ende der Strecke verbunden. Dann wird diese Gerade mit Lineal und Winkellineal zweimal durch die anderen Teilpunkte parallel verschoben. Nachdem das Gitter erstellt ist, können auf der Höhe des Quadrats mit dem Radius 1/6 der ganzen Höhe (1 Gitterquadrat) bereits die drei senkrechten Kreise der Rundbilder gezeichnet werden, ein Kreis ist konzentrisch für das zentrale Medaillon. Dann muss noch ein konzentrischer Hilfskreis (grün) gezogen werden, der Radius ist 1/3 der Höhe (2 Gitter- Quadrate). Dieser Hilfskreis schneidet links und rechts je zweimal das Gitter. Diese vier Schnittpunkte sind die Zentren für die restlichen vier Rundbilder (ebenfalls mit dem Radius 1/6). Die Rahmen für die Evangelistensymbole entsprechen je einem Gitterquadrat. Zur besseren Darstellung der sechsstrahligen Symmetrie werden die sechs gleichseitigen Dreiecke (grün) welche die Zentren aller Rundbilder verbinden auch noch eingezeichnet, so sieht man deutlich: alle sieben Kreise haben je den Radius 1/6 der Seitenlänge des Quadrates (also je die Seitenlänge eines Gitterquadranten. Auf dieser Vorlage wird dann mit Temperafarben das Bild aufgetragen, beginnend mit Pinselstrichen für die Grundstruktur. Beim Ausmalen wurden allerdings die seitlichen Ränder ein wenig eingerückt, rechts etwas mehr als links, so dass das Bild nicht mehr quadratisch ist.
Die nötigen Hilfsmittel waren in der 2. Hälfte des 15. Jahrhunderts vorhanden. Gut geschulte Malerlehrlinge und Studenten der Freien Künste (Artes Liberales) waren in der Lage, diese Konstruktion auszuführen. – Wer kann nun noch auf die Idee kommen, das Bild hätte etwas mit einem Rad zu tun? Dafür müsste man allerdings etwas Latein verstehen, wo das Wort «radius» sowohl Lichtstrahl als auch Radspeiche bedeutet. Und sechs Lichtstrahlen sind im Bild tatsächlich zu finden. (Zeichnung von WTH)
  
«Lehre uns der Weisheit Pfad»

O Weisheit
aus des Höchsten Mund,
die du umspannst des Weltalls Rund,
und alles lenkst mit Kraft und Rat,
komm, lehr uns deiner Weisheit Pfad.
  
O-Antiphon, Zwischengesang in der Messe am 17. Dezember
  
Philia Sophias, die Liebe der Weisheit – es darf nicht vergessen werden: Die Weisheit aus dem Herzen Gottes ist es, welche die ganze Schöpfung umfasst und alle Geschöpfe mit ihrer Liebe durchdringt (vgl. Jesus Sirach 24,3–7; Weisheit 7,22–29 – die Schöpfung als der «Kreis in der Urflut», Spr 8,27). Sie liebt zuerst und empfängt dann die Liebe zurück. Das wäre schon beinahe eine Interpretation des «Rades» (farbiges Meditationstuch, nicht Skizze): Diese Liebe der Weisheit und Liebe zur Weisheit dargestellt als Lichtstrahlen, ein- und ausgehend im Spiegelbild Gottes, dem Geschöpf, das den Pfad der Weisheit lernen soll. Sie, die Liebe der Weisheit (Philosophia), hin und zurück, ist die Macht. – Das gemalte «tuoch» war sein «buoch», worin er, Bruder Klaus, lernte, die Kunst dieser Lehre zu verstehen.
  
In der biblischen Weisheitsliteratur kommen dem Wesen der Weisheit verschiedene Prädikate zu: Sie ist ein Hauch (Weisheit 7,25 – hebräisch: ruah, griechisch pneuma, lateinisch spiritus) der Kraft Gottes, der Geist Gottes. Sie vergleicht sich selbst mit einem Weinstock (Jesus Sirach 24,17) und Ölbaum (14). An sie zu denken ist süsser als Honig (Jesus Sirach 24,20). Wein, Öl und Honig, das ist der dreifache Ausfluss der Herrlichkeit (vgl. Weisheit 7,25) aus der Quelle in der Brunnenvision von Bruder Klaus, aus dem Tabernakel der Weisheit, des Wertvollsten in der Seele.
  
Autor: Werner T. Huber, Dr. theol.        © 1981–2024
  

1 Bild auf einem Flügel von einem Marien-Altar, heutiger Standort: Germanisches Nationalmuseum, Nürnberg, Masse: 157 x 120 cm – vgl. Medaillon der Verkündigung in Teil 2. – Konrad Witz, zwischen 1400 und 1410 in Rotweil geboren, seit 1431 in Basel tätig, wurde dort 1434 in die Innung «Zunft Zum Himmel» (Zunft der Steinmetze, Maler und Goldschmiede) aufgenommen, zwischenzeitlich war er in Genf tätig (Petrusaltar im Auftrag des dortigen Bischofs). 1444 kehrte Witz wieder nach Basel zurück wo er im Jahr darauf in einer Pestepidemie zu Tode kam.
2 Am Silvestertag 1478 besuchte Albrecht von Bonstetten den Eremiten im Ranft. Das gemalte Tuch wird in seinem Bericht (Quelle 015) überhaupt nicht erwähnt, auch keine Radskizze, das «Buch» (mehrteiliges Bild als Armenbibel). Wäre das «Rad» (rota), wie Gundeflingen es nennt, zu diesem Zeitpunkt schon dort gewesen, wäre es Bruder Klaus sicher so wichtig gewesen, dass darüber gesprochen worden wäre. Heinrich Gundelfingen besuchte seinerseits im Winter 1480/81 den Einsiedler Klaus von Flüe (Quelle 052). Er fand das gemalte Tuch vor. Sein Vergleich des Meditationsbildes mit einem «Rad» ist seine originelle Idee, seine Erfindung, stammt also nicht von Bruder Klaus. Hätte der Einsiedler Details des Bildes erklären müssen, hätte er wohl kaum das Wort «Speiche» benutzt sondern eher die Bezeichnung «Strahl», bzw. «Lichtstrahl». Doch beide Wörter, «Lichtrahl» und «Radspeiche», heissen auf Lateinisch «radius», bzw. «radiolus». Genau hier ereignete sich bei Gundelfingen die Initialzündung, es handle sich da um ein «Rad». Hernach versuchte er aus dem ganzen Bild, dem Sechspass, eine Struktur zu abstrahieren und zeichnete eine Skizze mit Zirkel und Bleistift.
3 Haupterbe: Sohn Adrian II. von Bubenberg
4 Die originelle, aber folgenschwere Assoziation, das Meditationstuch bei Bruder Klaus sei ein «Radbild», setzten jedenfalls Kenntnisse der
 lateinischen Sprache voraus. Eine andere Missdeutung kam daher, dass die Lichtstrahlen auf eine Vision schliessen liesse, doch dann hätten diese eher einheitlich und nicht zweifach verschieden verlaufen müssen. – Jedenfalls hatte Klaus von Flüe keinen Einfluss auf die Entstehung des Tuches, darum ist die Hypothese einer «Radvision», die zum Teil in hysterische Gerüchte eskalierte, ebenfalls hinfällig.


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